In meiner Arbeit mit Burnout gefährdeten Führungskräften und High-Performern geht es immer häufiger auch um einen erlebten Sinnverlust in der Arbeit und damit um den Verlust einer wichtigen Kraftquelle. Je mehr Unternehmen zu Spekulationsobjekten werden und die kurzfristige Steigerung des Unternehmenswertes das alles beherrschende Ziel wird, desto weniger können Führungskräfte und Mitarbeitende sich mit dem Unternehmen und den Zielvorgaben identifizieren. Desto schwieriger wird auch ein konstruktiver Umgang mit Stress.
Von Friedrich Nietzsche stammt die steile Behauptung: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Das ist natürlich keine Aufforderung, nach einer Einstellung zu suchen, mit der man alles passiv ertragen und aushalten kann. Es ist vielmehr die Beobachtung, dass eine subjektiv erlebte Sinnhaftigkeit Kräfte freisetzt, mit denen Menschen auch widrige Lebensumstände bewältigen können.
„Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ (F. Nietzsche)
Sinnorientierung heißt in diesem Zusammenhang vor allem, dem Leben und seinen Erfahrungen eine Bedeutung geben zu können. Wir deuten dann Lebensereignisse und Lebensumstände in einem größeren Zusammenhang (philosophisch, religiös, spirituell) und erkennen darin eine Botschaft und Aufgabe für uns. Damit ist gleich eine ganz entscheidende Haltung verbunden, die wesentlich zur Resilienz beiträgt: das Verlassen der Opferrolle! Denn statt mit der Frage „warum ich?“ in die Opferrolle zu gehen, gehen wir mit der Frage „wozu?“ in eine aktive Auseinandersetzung mit dem, was ist.
Die Kraft der Sinnorientierung beweist sich aber nicht nur in extremen Erfahrungen, sondern auch im Alltag und damit auch im Beruf. In der Studie Was ist gute Arbeit? sagten 73 Prozent der Befragten, sie wollten etwas Sinnvolles tun. Wer in dem, was er tut, einen Sinn erkennen kann, ist motivierter, engagierter und auch stabiler, denn Sinn stärkt die Resilienz- und Verarbeitungskraft. Sinn wird damit zu einem entscheidendem Faktor der persönlichen und betrieblichen Stress- und Burnout-Prävention.
Bedeutung der Arbeit
Sinnerfüllung ist allerdings keine objektive Tatsache an sich, sondern ein subjektives Empfinden. Sie entwickelt sich maßgeblich infolge der persönliche Einstellung, die Jemand seiner Arbeit gegenüber hat. Position und Hierarchieebene spielen dabei keine Rolle. Denn auch Manager können an der Arbeit verzweifeln und sich antriebslos fühlen und einfache Worker können ihre Arbeit als sehr sinnvoll erfahren, weil sie sich z.B. mit dem Produkt, das sie herstellen, identifizieren und es auch selbst kaufen oder empfehlen würden.
Die Sinnhaftigkeit der Arbeit entscheidet sich vor allem an der Bedeutung, die ich der Arbeit für mich und für andere geben kann, und an den eigenen Werten. Hat die Arbeit für mich eine hohe Bedeutung, weil sie ganz meinen Interessen und Neigungen entspricht und ich mich darin selbst verwirklichen kann, erlebe ich sie per se als sinnvoll. Hat die Arbeit eine hohe Bedeutung für andere, weil sie deren Wohlergehen fördert oder eine positive Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft hat, wird sie ebenfalls als höchst sinnvoll erlebt. Auch die Frage, ob das Unternehmen eine Nachfrage in einer Weise bedient, die ökologische Belange und Nachhaltigkeit berücksichtigt oder nicht, entscheidet mehr und mehr über die empfundene Sinnhaftigkeit einer Arbeit, weil das persönliche und aktuelle gesellschaftliche Werte berührt.
Sinngebung Führungsaufgabe?
Selbstverständlich gehört es zu den klassischen Führungsaufgaben, den Sinn von Maßnahmen und Entscheidungen aufzuzeigen – aber eben den Sinn (z.B. welche gesellschaftlich relevanten Werte werden damit bedient?) und nicht nur den Zweck! Dazu gehört auch, den Sinn von Teilbereichen und -maßnahmen im Zusammenhang des Großen und Ganzen der Unternehmensaufgabe transparent zu machen. Gerade das aber geht verloren, wenn es nur noch um die Erreichung vorgegebener Kennzahlen oder die Zufriedenstellung von Aktionären geht.
Wer allerdings davon ausgeht, dass die Arbeit die Aufgabe hat, uns einen Lebenssinn zu schenken und uns glücklich zu machen, unterliegt einem schwerwiegenden Irrtum. Für unser Glück sind wir ausschließlich selbst verantwortlich. Kein Partner, kein Arbeitgeber, kein Politiker, keine Gesellschaft kann diese Verantwortung übernehmen. „Es ist nicht Aufgabe der Arbeit, eurem Leben einen Sinn einzuhauchen, den es ohne sie nicht hat“, schreibt Volker Kitz in seinem Manifest für ehrliche Arbeit. Das beweisen zahlreiche Manager, die aufgrund ihrer Pensionierung in schwere Lebenskrisen gerieten, weil sie außerhalb der Arbeit keine Interessen und Kontakte gepflegt hatten.
Das Leben als Antwort
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl spricht als „Grundsinn“ oder „Übersinn“, unabhängig von allen philosophischen und religiösen Deutungsangeboten, von einem „antwortenden Sein.“ Unser ganzes Leben lasse sich als eine unentwegte Kette von Ereignissen und Begegnungen verstehen, zu denen wir uns in irgendeiner Weise verhalten müssen, auf die wir also gewissermaßen antworten. Welche Antwort wir geben, hängt von unserem Bewusstseinsgrad ab, von unserer Persönlichkeit, unseren Fähigkeiten und Erfahrungen und unseren handlungsleitenden Werten. Eine gute Frage ist daher: was bringe ich in meinen gelebten Antworten über mich und meine Werte zum Ausdruck? Als wer erweise ich mich in dem, was ich tue oder lasse? (wie und als welcher Charakkter erleben mich andere?)
Wer sich keine bewusste Sinnorientierung erarbeitet, wer keine bewussten Wertentscheidungen trifft, sondern auf Autopilot lebt, der kommt sicherlich auch gut durchs Leben, solange ihn keine leidvollen Erfahrungen mit unabänderlich Gegebenem konfrontieren.
Denn sie sind die Prüfsteine aller Sinnorientierung. Ob es zum Beispiel um eine eigene schwerwiegende Erkrankung geht oder um die naher und für uns wichtiger Menschen. Ob es um Scheitern im beruflichen oder privaten Leben geht oder um erlebte Ungerechtigkeit. Ob es um Verluste von Lebenswichtigkeiten wie Besitztümer, Rollen und Status geht oder den anstehenden Tod. In solchen Erfahrungen entscheidet sich, ob wir Sinn erkennen können und damit zu einer aktiven Bewältigung dieser Erfahrungen finden, oder ob wir uns als Opfer sehen und aufgrund der erlebten Sinnlosigkeit und Ungerechtigkeit in Wut, Ohnmacht oder Depression stecken bleiben.